* * *
Mitten in der Nacht erwachen wir. Die Erde dröhnt. Schweres Feuer liegt
über uns. Wir drücken uns in die Ecken. Geschosse aller Kaliber können wir
unterscheiden.
Jeder greift nach seinen Sachen und vergewissert sich alle Augenblicke von
neuem, dass sie da sind. Der Unterstand bebt, die Nacht ist ein Brüllen und
Blitzen. Wir sehen uns bei dem sekundenlangen Licht an und schütteln mit
bleichen Gesichtern und gepressten Lippen die Köpfe.
Jeder fühlt es mit, wie die schweren Geschosse die Grabenbrüstung
wegreißen, wie sie die Böschung* durchwühlen und die obersten Betonklötze
zerfetzen. Wir merken den dumpferen, rasenderen Schlag, der dem
Prankenhieb* eines fauchenden Raubtiers gleicht, wenn der Schuss im Graben
sitzt. Morgens sind einige Rekruten bereits grün und kotzen*. Sie sind noch zu
unerfahren.
Langsam rieselt widerlich graues Licht in den Stollen und macht das
Blitzen der Einschläge fahler. Der Morgen ist da. Jetzt mischen sich
explodierende Minen in das Artilleriefeuer. Es ist das Wahnsinnigste an
Erschütterung, was es gibt. Wo sie niederfegen, ist ein Massengrab.
Die Ablösungen gehen hinaus, die Beobachter taumeln herein, mit Schmutz
beworfen, zitternd. Einer legt sich schweigend in die Ecke und isst, der andere,
ein Ersatzreservist, schluchzt; er ist zweimal über die Brustwehr geflogen durch
den Luftdruck der Explosion, ohne sich etwas anderes zu holen als einen
Nervenschock.
Die Rekruten sehen zu ihm hin. So etwas steckt rasch an, wir müssen
aufpassen, schon fangen verschiedene Lippen an zu flattern. Gut ist, dass es Tag
wird; vielleicht erfolgt der Angriff vormittags.
Das Feuer schwächt nicht ab. Es liegt auch hinter uns. So weit man sehen
kann, spritzen Dreck- und Eisenfontänen. Ein sehr breiter Gürtel wird
bestrichen.
Der Angriff erfolgt nicht, aber die Einschläge dauern an. Wir werden
langsam taub. Es spricht kaum noch jemand. Man kann sich auch nicht
verstehen.
Unser Graben ist fast fort. An vielen Stellen reicht er nur noch einen halben
Meter hoch, er ist durchbrochen von Löchern, Trichtern und Erdbergen. Direkt
vor unserm Stollen platzt eine Granate. Sofort ist es dunkel. Wir sind
zugeschüttet und müssen uns ausgraben. Nach einer Stunde ist der Eingang
wieder frei, und wir sind etwas gefasster, weil wir Arbeit hatten.
Unser Kompanieführer klettert herein und berichtet, dass zwei Unterstände
weg sind. Die Rekruten beruhigen sich, als sie ihn sehen. Er sagt, dass heute
abend versucht werden soll, Essen heranzubringen.
Das klingt tröstlich. Keiner hat daran gedacht, außer Tjaden. Nun rückt
etwas wieder von draußen näher; – wenn Essen geholt werden soll, kann es ja
nicht so schlimm sein, denken die Rekruten. Wir stören sie nicht, wir wissen,
dass Essen ebenso wichtig wie Munition ist und nur deshalb herangeschafft
werden muss.
Aber es misslingt. Eine zweite Staffel* geht los. Auch sie kehrt um.
Schließlich ist Kat dabei, und selbst er erscheint unverrichtetersache wieder.
Niemand kommt durch, kein Hundeschwanz ist schmal genug für dieses Feuer.
Wir ziehen unsere Schmachtriemen enger und kauen jeden Happen*
dreimal so lange. Doch es reicht trotzdem nicht aus; wir haben verfluchten
Kohldampf. Ich bewahre mir eine Kante auf; das Weiche esse ich heraus, die
Kante bleibt im Brotbeutel; ab und zu knabbere ich mal daran.
Die Nacht ist unerträglich. Wir können nicht schlafen, wir stieren vor uns
hin und duseln. Tjaden bedauert, dass wir unsere angefressenen Brotstücke für
die Ratten vergeudet haben. Wir hätten sie ruhig aufheben sollen. Jeder würde
sie jetzt essen. Wasser fehlt uns auch, aber noch nicht so sehr.
Gegen Morgen, als es noch dunkel ist, entsteht Aufregung. Durch den
Eingang stürzt ein Schwärm flüchtender Ratten und jagt die Wände hinauf. Die
Taschenlampen beleuchten die Verwirrung. Alle schreien und fluchen und
schlagen zu. Es ist der Ausbruch der Wut und der Verzweiflung vieler Stunden,
der sich entlädt. Die Gesichter sind verzerrt, die Arme schlagen, die Tiere
quietschen, es fällt schwer, dass wir aufhören, fast hätte einer den anderen
angefallen.
Der Ausbruch hat uns erschöpft. Wir liegen und warten wieder. Es ist ein
Wunder, dass unser Unterstand noch keine Verluste hat. Er ist einer der wenigen
tiefen Stollen, die es jetzt noch gibt.
Ein Unteroffizier kriecht herein; der hat ein Brot bei sich. Drei Leuten ist es
doch geglückt, nachts durchzukommen und etwas Proviant zu holen. Sie haben
erzählt, dass das Feuer in unverminderter Stärke bis zu den Artillerieständen
läge. Es sei ein Rätsel, wo die drüben so viele Geschütze hernähmen.
Wir müssen warten, warten. Mittags passiert das, womit ich schon rechnete.
Einer der Rekruten hat einen Anfall. Ich habe ihn schon lange beobachtet, wie er
ruhelos die Zähne bewegte und die Fäuste ballte und schloss. Diese gehetzten,
herausspnngenden Augen kennen wir zur Genüge*. In den letzten Stunden ist er
nur scheinbar stiller geworden. Er ist in sich zusammengesunken wie ein
morscher Baum.
Jetzt steht er auf, unauffällig kriecht er durch den Raum, verweilt einen
Augenblick und rutscht dann dem Ausgang zu. Ich lege mich herum und frage:
»Wo willst du hin?«
»Ich bin gleich wieder da«, sagt er und will an mir vorbei. »Warte doch
noch, das Feuer lässt schon nach.«
Er horcht auf, und das Auge wird einen Moment klar. Dann hat es wieder
den trüben Glanz wie bei einem tollwütigen Hund, er schweigt und drängt mich
fort. »Eine Minute, Kamerad!« rufe ich.
Kat wird aufmerksam. Gerade als der Rekrut mich fortstößt, packt er zu,
und wir halten ihn fest.
Sofort beginnt er zu toben: »Lasst mich los, lasst mich ‘raus, ich will
hier’raus!«
Er hört auf nichts und schlägt um sich, der Mund ist nass und sprüht Worte,
halbverschluckte, sinnlose Worte. Es ist ein Anfall von Unterstandsangst, er hat
das Gefühl, hier zu ersticken, und kennt nur den einen Trieb: hinauszugelangen.
Wenn man ihn laufen ließe, würde er ohne Deckung irgendwohin rennen. Er ist
nicht der erste.
Da er sehr wild ist und die Augen sich schon verdrehen, so hilft es nichts,
wir müssen ihn verprügeln, damit er vernünftig wird. Wir tun es schnell und
erbarmungslos und erreichen, dass er vorläufig wieder ruhig sitzt. Die andern
sind bleich bei der Geschichte geworden; hoffentlich schreckt es sie ab. Dieses
Trommelfeuer ist zuviel für die armen Kerle; sie sind vom Feldrekrutendepot
gleich in einen Schlamassel geraten, der selbst einem alten Mann graue Haare
machen könnte.
Die stickige Luft fällt uns nach diesem Vorgang noch mehr auf die Nerven.
Wir sitzen wie in unserm Grabe und warten nur darauf, dass wir zugeschüttet
werden. Plötzlich heult und blitzt es ungeheuer, der Unterstand kracht in allen
Fugen* unter einem Treffer, glücklicherweise einem leichten, dem die
Betonklötze standgehalten haben. Es klirrt metallisch und fürchterlich, die
Wände wackeln, Gewehre, Helme, Erde, Dreck und Staub fliegen.
Schwefeliger* Qualm dringt ein. Wenn wir statt in dem festen Unterstand in
einem der leichten Dinger säßen, wie sie neuerdings gebaut werden, lebte jetzt
keiner mehr.
Die Wirkung ist aber auch so schlimm genug. Der Rekrut von vorhin tobt
schon wieder, und zwei andere schließen sich an. Einer reißt aus und läuft weg.
Wir haben Mühe mit den beiden andern. Ich stürze hinter dem Flüchtenden her
und überlege, ob ich ihm in die Beine schießen soll; – da pfeift es heran, ich
werfe mich hin, und als ich aufstehe, ist die Grabenwand mit heißen Splittern,
Fleischfetzen und Uniformlappen bepflastert. Ich klettere zurück.
Der erste scheint wirklich verrückt geworden zu sein. Er rennt mit dem
Kopf wie ein Bock gegen die Wand, wenn man ihn loslässt. Wir werden nachts
versuchen müssen, ihn nach hinten zu bringen. Vorläufig binden wir ihn so fest,
dass man ihn beim Angriff sofort wieder losmachen kann.
Kat schlägt vor, Skat zu spielen; – was soll man tun, vielleicht ist es leichter
dann. Aber es wird nichts daraus, wir lauschen auf jeden Einschlag, der näher
ist, und verzählen uns bei den Stichen oder bedienen nicht die Farbe. Wir
müssen es lassen. Wie in einem gewaltig dröhnenden Kessel sitzen wir, auf den
von allen Seiten losgeschlagen wird.
Noch eine Nacht. Wir sind jetzt stumpf vor Spannung. Es ist eine tödliche
Spannung, die wie ein schartiges Messer unser Rückenmark* entlang kratzt. Die
Beine wollen nicht mehr, die Hände zittern, der Körper ist eine dünne Haut über
mühsam unterdrücktem Wahnsinn, über einem gleich hemmungslos
ausbrechenden Gebrüll ohne Ende. Wir haben kein Fleisch und keine Muskeln
mehr, wir können uns nicht mehr ansehen, aus Furcht vor etwas
Unberechenbarem. So pressen wir die Lippen aufeinander – es wird
vorübergehen – es wird vorübergehen – vielleicht kommen wir durch.
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