einen Schluck. In seine Augen kommt Bewegung. Jetzt erst sehen wir, dass auch
der rechte Arm blutet.
Kat zerfasert zwei Verbandspäckchen* so breit wie möglich, damit sie die
Wunde decken. Ich suche nach Stoff, um ihn lose darüberzuwickeln. Wir haben
nichts mehr, deshalb schlitze ich dem Verwundeten das Hosenbein weiter auf,
um ein Stück seiner Unterhose als Binde zu verwenden. Aber er trägt keine. Ich
sehe ihn genauer an: es ist der Flachskopf von vorhin.
Kat hat inzwischen aus den Taschen eines Toten noch Päckchen geholt, die
wir vorsichtig an die Wunde schieben. Ich sage dem Jungen, der uns unverwandt
ansieht: »Wir holen jetzt eine Bahre.«
Da öffnet er den Mund und flüstert: »Hierbleiben – «
Kat sagt: »Wir kommen ja gleich wieder. Wir holen für dich eine Bahre.«
Man
kann nicht erkennen, ob er verstanden hat; er wimmert wie ein Kind
hinter uns her: »Nicht weggehen – «
Kat sieht sich um und flüstert: »Sollte man da nicht einfach einen Revolver
nehmen, damit es aufhört?«
Der Junge wird den Transport kaum überstehen, und höchstens kann es
noch einige Tage mit ihm dauern. Alles bisher aber wird nichts sein gegen diese
Zeit, bis er stirbt. Jetzt ist er noch betäubt und fühlt nichts. In einer Stunde wird
er ein kreischendes Bündel unerträglicher Schmerzen werden.
Die Tage, die er
noch leben kann, bedeuten für ihn eine einzige rasende Qual. Und wem nützt es,
ob er sie noch hat oder nicht —
Ich nicke. »Ja, Kat, man sollte einen Revolver nehmen.«
»Gib her«, sagt er und bleibt stehen. Er ist entschlossen, ich sehe es. Wir
blicken uns um, aber wir sind nicht mehr allein. Vor uns sammelt sich ein
Häuflein, aus den Trichtern und Gräbern kommen Köpfe. Wir holen eine Bahre.
Kat schüttelt den Kopf. » So junge Kerle« – Er wiederholt es: »So junge,
unschuldige Kerle – «
* * *
Unsere
Verluste sind geringer, als anzunehmen war: fünf Tote und acht
Verwundete. Es war nur ein kurzer Feuerüberfall. Zwei von unseren Toten
liegen in einem der aufgerissenen Gräber; wir brauchen sie bloß zuzubuddeln.
Wir gehen zurück. Schweigend trotten wir im Gänsemarsch hintereinander
her. Die Verwundeten werden zur Sanitätsstation gebracht. Der Morgen ist
trübe, die Krankenwärter
laufen mit Nummern und Zetteln, die Verletzten
wimmern. Es beginnt zu regnen.
Nach einer Stunde haben wir unsere Wagen erreicht und klettern hinauf.
Jetzt ist mehr Platz als vorher da.
Der Regen wird stärker. Wir breiten Zeltbahnen aus und legen sie auf
unsere Köpfe. Das Wasser trommelt darauf nieder. An den Seiten fließen die
Regensträhnen* ab. Die Wagen platschen durch die Löcher, und wir wiegen uns
im Halbschlaf hin und her.
Zwei Mann vorn im Wagen haben lange gegabelte Stücke bei sich. Sie
achten auf die Telefondrähte, die quer über die Straße hängen, so tief, dass sie
unsere Köpfe wegreißen können. Die beiden
Leute fangen sie mit ihren
gegabelten Stöcken auf und heben sie über uns hinweg. Wir hören ihren Ruf:
»Achtung – Draht«, und im Halbschlaf gehen wir in die Kniebeuge und richten
uns wieder auf.
Monoton pendeln die Wagen, monoton sind die Rufe, monoton rinnt der
Regen. Er rinnt auf unsere Köpfe und auf die Köpfe
der Toten vorn, auf den
Körper des kleinen Rekruten mit der Wunde, die viel zu groß für seine Hüfte ist,
er rinnt auf das Grab Kemmerichs, er rinnt auf unsere Herzen.
Ein Einschlag hallt irgendwo. Wir zucken auf, die Augen sind gespannt, die
Hände wieder bereit, um die Körper über die Wände des Wagens in den
Straßengraben zu werfen.
Es kommt nichts weiter. – Monoton nur die Rufe: »Achtung – Draht« – wir
gehen in die Knie, wir sind wieder im Halbschlaf.