* * *
Für mich ist die Front ein unheimlicher Strudel*. Wenn man noch weit
entfernt von seinem Zentrum im ruhigen Wasser ist, fühlt man schon die
Saugkraft, die einen an sich zieht, langsam, unentrinnbar, ohne viel Widerstand.
Aus der Erde, aus der Luft aber strömen uns Abwehrkräfte zu, – am meisten von
der Erde. Für niemand ist die Erde so viel wie für den Soldaten. Wenn er sich an
sie presst, lange, heftig, wenn er sich tief mit dem Gesicht und den Gliedern in
sie hineinwühlt in der Todesangst des Feuers, dann ist sie sein einziger Freund,
sein Bruder, seine Mutter, er stöhnt seine Furcht und seine Schreie in ihr
Schweigen und ihre Geborgenheit, sie nimmt sie auf und entlässt ihn wieder zu
neuen zehn Sekunden Lauf und Leben, fasst ihn wieder, und manchmal für
immer.
Erde – Erde – Erde – !
Erde, mit deinen Bodenfalten und Löchern und Vertiefungen, in die man
sich hineinwerfen, hineinkauern kann! Erde, du gabst uns im Krampf des
Grauens, im Aufspritzen der Vernichtung, im Todesbrüllen der Explosionen die
ungeheure Widerwelle gewonnenen Lebens! Der irre Sturm fast zerfetzten
Daseins floss im Rückstrom von dir durch unsre Hände, so dass wir die
geretteten in dich gruben und im stummen Angstglück der überstandenen Minute
mit unseren Lippen in dich hineinbissen! —
Wir schnellen mit einem Ruck in einem Teil unseres Seins beim ersten
Dröhnen der Granaten um Tausende von Jahren zurück. Es ist der Instinkt des
Tieres, der in uns erwacht, der uns leitet und beschützt. Er ist nicht bewusst, er
ist viel schneller, viel sicherer, viel unfehlbarer als das Bewusstsein. Man kann
es nicht erklären. Man geht und denkt an nichts – plötzlich liegt man in einer
Bodenmulde*, und über einen spritzen die Splitter hinweg; – aber man kann sich
nicht entsinnen, die Granate kommen gehört oder den Gedanken gehabt zu
haben, sich hinzulegen. Hätte man sich darauf verlassen sollen, man wäre bereits
ein Haufen verstreutes Fleisch. Es ist das andere gewesen, diese hellsichtige
Witterung in uns, die uns niedergerissen und gerettet hat, ohne dass man weiß,
wie. Wenn sie nicht wäre, gäbe es von Flandern bis zu den Vogesen* schon
längst keine Menschen mehr.
Wir fahren ab als mürrische oder gutgelaunte Soldaten, – wir kommen in
die Zone, wo die Front beginnt, und sind Menschentiere geworden.
* * *
Ein dürftiger Wald nimmt uns auf. Wir passieren die Gulaschkanonen.
Hinter dem Walde steigen wir ab. Die Wagen fahren zurück. Sie sollen uns
morgens vor dem Hellwerden wieder abholen.
Nebel und Geschützrauch stehen in Brusthöhe über den Wiesen. Der Mond
scheint darauf. Auf der Straße ziehen Truppen. Die Stahlhelme schimmern mit
matten Reflexen im Mondlicht. Die Köpfe und die Gewehre ragen aus dem
weißen Nebel, nickende Köpfe, schwankende Gewehrläufe.
Weiter vorn hört der Nebel auf. Die Köpfe werden hier zu Gestalten; –
Röcke, Hosen und Stiefel kommen aus dem Nebel wie aus einem Milchteich. Sie
formieren sich zur Kolonne. Die Kolonne marschiert, geradeaus, die Gestalten
schließen sich zu einem Keil, man erkennt die einzelnen nicht mehr, nur ein
dunkler Keil schiebt sich nach vorn, sonderbar ergänzt aus den im Nebelteich
heranschwimmenden Köpfen und Gewehren. Eine Kolonne – keine Menschen.
Auf einer Querstraße fahren leichte Geschütze und Munitionswagen heran.
Die Pferde haben glänzende Rücken im Mondschein, ihre Bewegungen sind
schön, sie werfen die Köpfe, man sieht die Augen blitzen. Die Geschütze und
Wagen gleiten vor dem verschwimmenden Hintergrund der Mondlandschaft
vorüber, die Reiter mit ihren Stahlhelmen sehen aus wie Ritter einer
vergangenen Zeit, es ist irgendwie schön und ergreifend.
Wir streben dem Pionierpark zu. Ein Teil von uns ladet sich gebogene,
spitze Eisenstäbe auf die Schultern, der andere steckt glatte Eisenstöcke durch
Drahtrollen und zieht damit ab. Die Lasten sind unbequem und schwer.
Das Terrain* wird zerrissener. Von vorn kommen Meldungen durch:
»Achtung, links tiefer Granattrichter« – »Vorsicht, Graben« —
Unsere Augen sind angespannt, unsere Füße und Stöcke fühlen vor, ehe sie
die Last des Körpers empfangen. Mit einmal hält der Zug; – man prallt mit dem
Gesicht gegen die Drahtrolle des Vordermannes und schimpft.
Einige zerschossene Wagen sind im Wege. Ein neuer Befehl. »Zigaretten
und Pfeifen aus.« – Wir sind dicht an den Gräben.
Es ist inzwischen ganz dunkel geworden. Wir umgehen ein Wäldchen und
haben dann den Frontabschnitt vor uns.
Eine Ungewisse, rötliche Helle steht am Horizont von einem Ende zum
andern. Sie ist in ständiger Bewegung, durchzuckt vom Mündungsfeuer der
Batterien. Leuchtkugeln steigen darüber hoch, silberne und rote Bälle, die
zerplatzen und in weißen, grünen und roten Sternen niederregnen. Französische
Raketen schießen auf, die in der Luft einen Seidenschirm entfalten und ganz
langsam niederschweben. Sie erleuchten alles taghell, bis zu uns dringt ihr
Schein, wir sehen unsere Schatten scharf am Boden. Minutenlang schweben sie,
ehe sie ausgebrannt sind. Sofort steigen neue hoch, überall, und dazwischen
wieder die grünen, roten und blauen.
»Schlamassel*«, sagt Kat.
Das Gewitter der Geschütze verstärkt sich zu einem einzigen dumpfen
Dröhnen und zerfällt dann wieder in Gruppeneinschläge. Die trockenen Salven
der Maschinengewehre knarren. Über uns ist die Luft erfüllt von unsichtbarem
Jagen, Heulen, Pfeifen und Zischen. Es sind kleinere Geschosse; – dazwischen
orgeln aber auch die großen Kohlenkästen, die ganz schweren Brocken durch die
Nacht und landen weit hinter uns. Sie haben einen röhrenden, heiseren,
entfernten Ruf, wie Hirsche in der Brunft*, und ziehen hoch über dem Geheul
und Gepfeife der kleineren Geschosse ihre Bahn.
Die Scheinwerfer beginnen den schwarzen Himmel abzusuchen. Sie
rutschen darüber hin wie riesige, am Ende dünner werdende Lineale. Einer steht
still und zittert nur wenig. Sofort ist ein zweiter bei ihm, sie kreuzen sich, ein
schwarzes Insekt ist zwischen ihnen und versucht zu entkommen: der Flieger. Er
wird unsicher, geblendet und taumelt*.
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