1.2 Aufgaben der Wirtschaftsinformatik
”
Ziel der Wirtschaftsinformatik ist die Gewinnung von Theorien, Me-
thoden, Werkzeugen und intersubjektiv nachpr¨
ufbaren Erkenntnis-
sen ¨
uber/zu IKS in Wirtschaft und Verwaltung und die Erg¨
anzung
des
’
Methoden- und Werkzeugkastens‘ der Wissenschaften um sol-
che der Wirtschaftsinformatik, die den soziotechnischen Erkenntnis-
und Gestaltungsgegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung
zug¨
anglich machen.“ (WKWI (1994), S. 81)
Hauptaufgabe der Wirtschaftsinformatik ist demnach die Erkl¨
arung und
die Gestaltung von Informations- und Kommunikationssystemen in Wirt-
schaft und Verwaltung. Dar¨
uber hinaus kann auch die Beschreibung und
die Prognose von IKS als Aufgabe der Wirtschaftsinformatik aufgefasst wer-
den; vgl. u. a. Heinrich (2001), Schwarzer und Krcmar (2004) sowie WKWI
(1994). Die Beschreibung beinhaltet die Schaffung eindeutiger terminologi-
scher Grundlagen, die als Voraussetzung f¨
ur die Erkl¨
arung und Gestaltung
der Systeme angesehen werden kann, sowie etwa auch das Aufzeigen nicht
ausgesch¨
opfter Nutzenpotenziale hinsichtlich IKS. Die Erkl¨
arung hat die Ent-
wicklung von Modellen (Erkl¨
arungsmodellen) und Theorien zum Ziel, mit
deren Hilfe Aussagen ¨
uber IKS getroffen werden k¨
onnen (z. B. zur Verdeut-
lichung von Zusammenh¨
angen oder Gesetzm¨
aßigkeiten).
Die Gestaltung von IKS umfasst die (Weiter-)Entwicklung entsprechen-
der Methoden und Werkzeuge sowie den eigentlichen Entwurf und die Rea-
lisierung einzelner IKS. Grundlage der Gestaltung sind Erkl¨
arungsmodelle.
Insbesondere die Ver¨
anderung bestehender Systeme wird (im Gegensatz zur
Erkl¨
arungsaufgabe) meist nicht als wissenschaftliche, sondern als praktische
Aufgabe angesehen, da mit ihr in der Regel keine Gewinnung neuer Erkennt-
nisse ¨
uber den Untersuchungsgegenstand IKS bezweckt wird. Die Entwick-
1.2 Aufgaben der Wirtschaftsinformatik
7
lung von Methoden und Werkzeugen, mit denen IKS erstellt oder ver¨
andert
werden k¨
onnen, z¨
ahlt jedoch zu den wissenschaftlichen Aufgaben der Wirt-
schaftsinformatik.
Die Prognose von IKS hat Voraussagen und Hypothesen ¨
uber das Ver-
halten von IKS zum Ziel. Auch hierf¨
ur sind Erkl¨
arungsmodelle eine unab-
dingbare Voraussetzung, da die dort verdeutlichten Zusammenh¨
ange und Ge-
setzm¨
aßigkeiten Aussagen ¨
uber das wahrscheinliche Verhalten in der Zukunft
erst erm¨
oglichen.
Aufbauend auf Erkenntnissen und methodischen Grundlagen sowohl der
Betriebswirtschaftslehre als auch der (angewandten wie theoretischen) Infor-
matik ist – neben der Weiterentwicklung entsprechender Theorien und Me-
thoden – eine prim¨
are Aufgabe der Wirtschaftsinformatik die Analyse und
Modellierung betrieblicher Gegebenheiten im Hinblick auf die Nutzung einer
integrierten Informationsverarbeitung (Systemanalyse) und die Entwicklung
darauf aufbauender Informations- und Kommunikationssysteme. W¨
ahrend
die eigentliche Softwareentwicklung weiterhin eine wesentliche Aufgabe der
Wirtschaftsinformatik darstellt, ist heute eine zunehmende Dominanz (be-
triebswirtschaftlicher) Standardsoftware zu verzeichnen. Ein wesentlicher Ge-
sichtspunkt in diesem Kontext ist die Entwicklung von (teilweise vom Bran-
chentyp abh¨
angigen) standardisierten Anwendungssystem-Architekturen. In
diesem Zusammenhang ergibt sich die Aufgabe, verschiedene Abstraktionen
der betrieblichen Wirklichkeit, wie eine semantische Gesamtsicht auf die Da-
ten eines Unternehmens (Unternehmensdatenmodell) oder Modelle betrieb-
licher Prozesse (Gesch¨
aftsprozessmodelle), zu erstellen, zu untersuchen und
(wieder) zu integrieren. Dabei ist eine geeignete Anpassbarkeit bzw. Kon-
figurierbarkeit solcher Modelle bzw. Systeme zu ber¨
ucksichtigen, um einen
effizienten Einsatz entsprechender Software in der Praxis zu gew¨
ahrleisten.
Im Mittelpunkt der Wirtschaftsinformatik in der betrieblichen Praxis
steht die Konzeption, Entwicklung, Einf¨
uhrung, Nutzung (inklusive der Be-
nutzerbetreuung) und Wartung von betrieblichen Informationssystemen. All-
gemein anerkannt ist die zunehmende Bedeutung des Produktionsfaktors –
der Ressource – Information. Eine heute prim¨
are Zielsetzung bei der Entwick-
lung und dem Einsatz betrieblicher Informationssysteme ist die effiziente Be-
friedigung der Informationsnachfrage betrieblicher Aufgabentr¨
ager insbeson-
dere im Hinblick auf die Unterst¨
utzung bei Entscheidungsprozessen. Das In-
formationsmanagement besitzt somit eine zentrale Rolle im Umfeld der Wirt-
schaftsinformatik. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass bei
einer Zuweisung der Verantwortung f¨
ur den Produktionsfaktor Information
an die Wirtschaftsinformatik (vgl. Mertens et al. (2005), S. 3) die Abgrenzung
zum Informationsmanagement erschwert, wenn nicht gar unm¨
oglich gemacht
wird. Eine M¨
oglichkeit zur (sinnvollen) Abgrenzung wird in Abschnitt 3.2
dargestellt; vgl. auch Voß und Gutenschwager (2001).
Die Nutzung von Informationssystemen bedingt den Aufbau und die Ver-
waltung einer technischen Informations- und Kommunikationsinfrastruktur
8
1. Einf¨
uhrung
sowie das Management der betrieblichen Informationsverarbeitung. Die heu-
tige betriebliche Praxis ist durch die zunehmende Integration betrieblicher
Informations- und Kommunikationssysteme in Verbindung mit immer leis-
tungsf¨
ahigeren, aber auch komplexeren Arbeitsplatzrechnern und Laptops
gekennzeichnet. Dabei besteht nach wie vor das Problem der effizienten Aus-
stattung, Verwaltung, Integration, Weiterentwicklung und spezifischen Nutz-
barmachung von Rechnerarbeitspl¨
atzen bzw. der eingesetzten Informations-
systeme, was insbesondere durch die schnelle Entwicklungsgeschwindigkeit
der Informationstechnik bedingt ist. Ziel sind hier flexible und leistungsf¨
ahi-
ge Systeme bei gleichzeitiger Ber¨
ucksichtigung wirtschaftlicher Kriterien.
W¨
ahrend bisher die Rationalisierung der Unternehmensabl¨
aufe im Mit-
telpunkt der Einf¨
uhrung und Nutzung von IKS stand, wird in Zukunft die
weitergehende Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnik ei-
ne noch gr¨
oßere Bedeutung gewinnen. Hier sind vor allem Systeme zur
Unterst¨
utzung betrieblicher Kommunikation und Abl¨
aufe, wie insbesondere
(B¨
uro-)Informations- und -kommunikationssysteme zur Unterst¨
utzung von
Gruppenarbeit und Gesch¨
aftsprozessen (Workgroup Computing und Work-
flow Management), zu nennen. Weiterhin stellt sich die Aufgabe einer infor-
mationstechnisch unterst¨
utzten Abwicklung von Gesch¨
aftsverkehr sowohl mit
anderen Unternehmen (im Rahmen einer unternehmens¨
ubergreifenden Au-
tomatisierung und Optimierung von Prozessen) als auch mit Konsumenten
(im Rahmen einer verst¨
arkten Kundenorientierung). Nicht zuletzt muss der
Planungsunterst¨
utzung durch IKS zuk¨
unftig eine gr¨
oßere Bedeutung zukom-
men, da bei zunehmender Globalisierung der M¨
arkte und damit einhergehend
st¨
arkerem Wettbewerb nicht nur die Informationsbasis f¨
ur Entscheidungen
verbessert werden muss, sondern auch die Entscheidungsg¨
ute selbst.
Durch die zunehmende Bedeutung weltweiter Rechnernetze (wie des Inter-
nets) bei gleichzeitiger Nutzung kompatibler Techniken in Unternehmensnet-
zen (Intranets) erwachsen weitere M¨
oglichkeiten. Virtuelle Unternehmungen,
bei denen zun¨
achst der reale Ort der Arbeitspl¨
atze nicht mehr festgelegt ist,
werden erm¨
oglicht, bis schließlich bestimmte Arbeitsleistungen nicht mehr
im Unternehmen vorgehalten werden (m¨
ussen), sondern flexibel eingekauft
werden bzw. zwischenbetrieblich koordiniert und ausgetauscht werden. Das
heißt, Unternehmen bzw. Unternehmenseinheiten, Institutionen oder Einzel-
personen kooperieren f¨
ur eine begrenzte Zeit unter Einbringung von Kern-
kompetenzen, um spezielle Marktpotenziale im Rahmen einer Leistungser-
stellung f¨
ur Dritte flexibel und effizient auszusch¨
opfen.
4
In Verbindung mit
Entwicklungen wie dem Electronic Commerce, der elektronischen Abwicklung
von Gesch¨
aftsverkehr, ergeben sich im Zusammenhang mit der Globalisierung
f¨
ur Unternehmen sowohl Chancen als auch Risiken; insbesondere ergibt sich
eine Zunahme der Markttransparenz und damit ein sch¨
arferer Wettbewerb.
Die Besch¨
aftigung mit diesen Themen bzw. mit den hierf¨
ur erforderlichen
4
Vgl. z. B. Picot et al. (2003).
1.3 Aufbau dieses Buches
9
Informations- und Kommunikationssystemen wird in Zukunft in der Wirt-
schaftsinformatik weiter an Bedeutung gewinnen.
Do'stlaringiz bilan baham: |